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Hyperrealistische Fleischschau

Artikel von Von Rafaela Roth

kulturkritik.ch

Die Frühabendsonne strahlt noch höchstens eine halbe Stunde durch das Schaufenster der kleinsten Galerie Zürichs. Fast ist es, als würde sie direkt in einen übergrossen Traubenzweig scheinen, der hinter den Scheiben hängt. Seine gelbgrünen Früchte leuchten, das Wasser spannt ihre Haut, drückt die Fasern nach aussen, bald platzen sie. Könnte man sich nicht mit eigenen Augen überzeugen, dass beim Nähergehen nur noch feine Pinselstriche und Punkte zu sehen sind, wäre man sich sicher, es hier mit einem Fotoprint zu tun zu haben. Doch es ist Öl auf Leinwand. Öl riecht besser als Acryl, findet der Künstler. Und mit der Intensivität der Ölfarbe gelingt ihm das Trompe-l’oeil.

Motive platzen vor Zuneigung

Der Zürcher Christoph Eberle eröffnete am Mittwoch seine Einzelausstellung «Oelbider: Stilleben vs. Landschaften» im KunstRaum R57 in Wipkingen. Zur Vernissage trägt er sein Ausstellungsgesicht, wie er erklärt: glänzende Glatze zu akkuratem Henriquatre-Kinnbart, Augenlinsen, weisser Kragen. So präzise wie seine Kunst. Der 44-Järige fotografiert, wenn er im Alltag den Drang hat, etwas festzuhalten. Und bei einigen Fotografien will er dann sehen, was mit ihnen passiert, wenn er sie malt. Er vergrössert sie stark auf dem Computer und malt sie so hyperrealistisch und detailliert, dass am Ende jedes Motiv vor Zuwendung zu platzen scheint: Gräser, so majestätisch wie Säulen, Apfelblüten wie Ikonen, Kirschtomaten zum Anbeissen. Stillleben vor reduziertem Hintergrund, von dem sich die Objekte monolithisch abheben.

Gegenüber hängt ein Kotelett, das «Côtelette». Wie es da prangt, auf 90 mal 30 Zentimeter, ekelt und provoziert es zugleich, zieht fasziniert-angewiderte Blicke auf sich. Alles ist vorhanden, genauer als man es je betrachtet hat: Die Stelle, wo die Faserstummeln des abgesägten Knochens abstehen, das offene Ende eines blutigen Äderchens, die Höhle, die den Eingeweiden Raum gibt, ein weisser Pelz, das Fett. Man weiss nicht, wohin mit diesem feucht glänzenden Körper. Laut dem Künstler, sind Vegetarier begeistert von dem Gemälde.

Licht als tragendes Element

Licht ist ein tragendes Element in den Werken Eberles. Schon in früheren Werken, wo Dunkelheit und Unschärfe die Konturen verwischten. Doch wie das Licht die Objekte streichelt, wie es erst den Körper zum Körper werden lässt, welches Körperteil es betont und welches in Schatten verschwindet, zieht sich als Thema durch seine Werke.

Auf Öl gebannte, hyperrealistische Stillleben mit natürlichem Licht, im Sekundenschlag einer Fotoaufnahme entstanden, sind in der aktuellen Ausstellung des KunstRaum R57 zu sehen sowie reduzierte Landschaftsbilder und seit Neustem auch lichtumspielte Porträts von Menschen. Das Architekturstudium des Künstlers scheint sich in seiner Kunst zu zeigen: Die Liebe zu Körperschaften und ihrer Bauart.

Die Lust zum Trompe-l’oeil, zur Verführung der Augen zieht einen in den KunstRaum R57. Mehr nicht. Die Bilder beeindrucken, anrühren kann jedoch nur das Fleisch, dank dem aktuellen Diskurs um vegetarische Lebensweise.

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